Eskalation um die E97 – Kappung der Grundversorgung in der Eisenbahnstraße 97
Die Schikanen für MieterInnen nehmen zu – Der Kampf um gerechtes
Wohnen beginnt hier.
Seit dem 28.05.2024 sind die Wohnungen in der Eisenbahnstraße 97 ohne Warmwasserversorgung, die Haupt-Gasleitung des Hauses wurde ohne ersichtlichen Grund unterbrochen, die Leipziger Stadtwerke geben Verantwortung zur Behebung dem Eigentümer. In der im Erdgeschoss gelegenen Bar Goldhorn wurde seitdem zusätzlich das Stromkabel gekappt sowie der Freisitz angezündet, die Pächter befinden sich aktuell im Rechtsstreit wegen der Kündigung ihrer Räumlichkeiten.
Seit einigen Tagen sieht sich die Mieterschaft der Eisenbahnstraße 97 massiven Eingriffen ausgesetzt. Am Abend des 28.05. wurde die Gasversorgung abgestellt, indem der Gas-Notschalter im Haus umgelegt wurde. Alle Wohnungen sind seitdem ohne Warmwasserversorgung, in den meisten kann seitdem auch nicht gekocht werden. Die Stadtwerke schalten die Versorgung erst wieder ein, wenn die gesamten Gasleitungen überprüft wurden. Den Auftrag hierfür müsste der Eigentümer bzw. die Hausverwaltung geben. Auf die Anzeige des Mangels bei NAS-Immobilien – jener Firma, über die der Kontakt zum neuen Eigentümer läuft -, hat diese uns an den Anwalt des neuen Eigentümers verwiesen. Dieser wiederum lässt alle Versuche der Kontaktaufnahme bisher unbeantwortet. Wir als Mieterschaft wurden nicht informiert, warum und ob das Abschalten notwendig war, geschweige denn, wann die Gasversorgung wieder hergestellt ist. Sicher ist, dass für das Abstellen Zugang zum eigentlich verschlossenen Keller notwendig war.
Am Morgen des 31.05. wurde ein Stromkabel in der Eisenbahnstraße 97 so stark beschädigt, dass die Bar Goldhorn komplett ohne Strom war. Wegen der erheblichen Gefahr, die beschädigte Elektrizität für das Haus darstellt, wurde das Kabel auf eigene Kosten notrepariert.
In den Morgenstunden des 2. Juni wurde der Freisitz des Goldhorn mithilfe eines Brandbeschleunigers angezündet. Das Feuer konnte schnell gelöscht werden, niemand ist zu Schaden gekommen.
Dies sind die neuesten Glieder in einer langen Kette an Belastungen, die uns das Leben und Arbeiten in der E97 schwer machen. Dazu gehören die Einrüstung des Gebäudes wegen kurzfristig angekündigter Dach- und Fassadenbauarbeiten und Werbebanner am Gerüst, die kein Tageslicht in manche Zimmer lassen. Dazu gehören Anwaltsbriefe mit teilweise derart kurzen Ankündigungsfristen, dass wir sie nur als Schikane interpretieren können. Dazu gehören Wutausbrüche und Konfrontationen durch Personen, die sich als neue Verwalter des Hauses ausgeben. Und nun gehört dazu die – vielleicht planmäßige – Untätigkeit, wenn es um die Sicherstellung von so wichtigen Grundbedürfnissen wie der Versorgung mit Gas und warmen Wasser, den Mindeststandards einer Wohnung, geht.
Die jüngsten Vorfälle haben jedoch eine neue Qualität und sind offensichtlich Einschüchterungsversuche. Es scheint, als sei das Ziel dieser Aktionen vor allem das Goldhorn, welches sich aktuell im Rechtsstreit bezüglich der Kündigung ihrer Räume befindet. Ein Angriff auf das Goldhorn ist jedoch ein Angriff auf das Haus und wirkt sich direkt auf die Lebensrealität aller aus, die dort leben und arbeiten – die Gefährdung von Menschen wird mit solchen Handlungen bewusst in Kauf genommen. Wir wissen nicht, wer für die Vorfälle der letzten Tage verantwortlich ist. Wir stellen aber fest, dass diese und der erhöhte Stress, dem alle Mietparteien im Haus ausgesetzt sind, zeitlich mit dem Verkauf des Hauses zusammenfallen.
Gleichzeitig steht Leipzig kurz vor der Kommunalwahl und überall im Viertel hängen Plakate, auf denen bezahlbarer Wohnraum zum Wahlkampfthema gemacht wird. Die Wohnraumkrise wurde den LeipzigerInnen spät bewusst, dennoch ist sie mittlerweile allgegenwärtig. Egal ob Studierende, Berufstätige, junge Familien oder Senioren, in der Stadt Leipzig kann es sich keiner mehr leisten, seinen Mietvertrag zu kündigen und einfach eine neue Wohnung zu suchen. Die Ausgaben für die Miete übersteigen nicht selten die Hälfte des verfügbaren Einkommens, Wohngeld und Bafög reichen auch nicht mehr aus, um die Belastungen abzufedern: Bezahlbarer Wohnraum ist eine der sozialen Fragen unserer Zeit.
Die E97 ist ein Haus, wo es diesen bezahlbaren Wohnraum noch gibt. Er wurde über Jahre erkämpft. Die bestehenden Verträge sehen vor, dass die BewohnerInnen und das soziokulturelle Zentrum Con Han Hop auf lange Zeit im Haus bleiben. Und trotzdem müssen wir feststellen: Die Mietverträge schützen uns nicht davor, mit dem Verkauf des Hauses massivem Stress ausgesetzt zu sein, der uns in unserem Privatesten tangiert.
Mietverträge schützen uns offensichtlich nicht davor, erhebliche finanzielle Mehrbelastungen zu tragen, um dauerhafte und fundierte rechtliche Beratung in Anspruch zu nehmen. Mietverträge schützen uns nicht davor, ohnehin knappe Freizeit zu verplanen, um uns zu organisieren und anfallende Aufgaben zu erledigen. All das, um etwas zu verteidigen, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: Mit einem Mietvertrag sorgenfrei wohnen!
Wir fragen uns: Wenn Parteien bei der Kommunalwahl für ihren Einsatz für bezahlbaren Wohnraum gewählt werden wollen, wie sieht dieser Einsatz aus? Ein konkreter Vorschlag: Warum sich nicht um den Ankauf der E97 durch die Stadt bemühen – auch ohne Vorkaufsrecht? So etwas kostet Geld, aber damit sollten politische Akteure rechnen, die mit der Forderung nach Investitionen in Wohnraum um Stimmen werben.
Und weil unser Haus nur exemplarisch für ein strukturelles Problem steht, das viele betrifft: Warum zum Beispiel keine flächendeckende finanzielle oder professionelle Unterstützung für Betroffene von Entmietungsversuchen? Warum zum Beispiel keine hohen Bußgelder für Eigentümer, die die Mietpreisbremse missachten? Warum privaten Investoren bei dem Aufkauf und Spekulation mit Bestandswohnungen nicht in die Quere kommen? Wohnungspolitik bedeutet auch eine aktive Einflussnahme der kommunalen Akteure auf dem Wohnungsmarkt.
Wir fordern weiterhin, dass alle Mietparteien in der E97 bleiben können! Wir wollen nicht jeden Tag aufwachen und uns fragen, ob Strom, Wasser und Gas heute noch funktionieren, wenn die Wohnung gestern verkauft wurde. Wir fordern die Stadt und die politischen Parteien auf, explizite Lösungsvorschläge für den Erhalt und die Schaffung von bezahlbaren (Wohn-)Raum zu erarbeiten, anstatt vage dessen Notwendigkeit zu formulieren!
Wir fordern die Stadt und die politischen Parteien auf, bereits existente Maßnahmen, wie die Sozialen Erhaltungssatzungen konsequent durchzusetzen. Wir fordern die Stadt und die politischen Parteien auf, Immobilienspekulanten mehr auf die Finger zu schauen! Wie ist es zum Beispiel möglich, dass die “NAS Immobilien Leipzig” im größeren Stil mit Immobilien handelt, ohne im Handelsregister eingetragen zu sein? Ist dies vereinbar mit handelsrechtlichen Bestimmungen und wenn nicht, warum unternehmen das Finanzamt und die Gewerbebehörde der Stadt Leipzig dagegen bisher nichts?
Und wir fordern jene AnwältInnen, die solche Immobilienspekulanten vertreten, auf, nochmal ihren moralischen Kompass zu befragen und sich ihrer Verantwortung bewusst zu machen.
Eure E97