Jahresrückblick 2024


Pressemitteilung und Jahresrückblick 2024

Eigentümerwechsel, unangekündigte Bauarbeiten, 5 Monate ohne Gas und Heizung, Konfrontationen, Gerichtsverhandlungen, Bedrohungsszenarien und zuletzt Kündigungen. Kurz vor den Feiertagen schauen wir als Mietgemeinschaft nun auf ein schwieriges und turbulentes Jahr zurück. Die E97 weiterhin unser Zuhause nennen zu können, ist seit dem Eigentümerwechsel mit viel Aufwand und Mühen verbunden. Doch trotz der unaufhörlichen Konfrontationen mit unserer Vermietung wohnen wir immer noch hier.

Für viele von uns hat der mit dem Wohnen in der E97 einhergehende Arbeitsaufwand Ausmaße eines Teilzeitjobs angenommen. Wir wohnen teilweise seit fast einem Jahrzehnt mit fairen Mietverträgen hier und verfolgen unseren normalen Berufs- oder Studierendenalltag. Die Umstände unserer Wohnverhältnisse haben sich im Laufe dieses Jahres jedoch drastisch verändert und sich zu einem erschütternden Wohnkrimi entwickelt. Wir sind nach wie vor schockiert von den andauernden Bedrohungsszenarien durch den Eigentümer und seine Vertreter und Auftragnehmer in unserem eigenen vertrauten Zuhause. Aber wir stellen manchmal auch verblüfft fest, was wir als Mietende alles durchstehen konnten, einfach weil wir mussten und weil wir zusammenstehen.

Der Kontakt zur Vermietung in der E97 war bereits vor dem Eigentümerwechsel beschränkt. Das Haus ist seit über einem Jahrzehnt Spekulationsobjekt. Seit Jahren klagen wir über unterlassene Sanierungsarbeiten und führen Listen über Mängel, deren Beseitigung wir uns wünschen. Über die neuen Eigentumsverhältnisse wurden wir lange im Unklaren gelassen. Schrittweise wurden aber die hausmeisterlichen Dienstleistungen eingestellt. Für Sauberkeit im Treppenhaus, Einbruchssicherheit und Abfallentsorgung sorgten wir erst einmal selbst.

Gleichzeitig begannen unangekündigte Baumaßnahmen an Fassade und Dach und brachten Lärm, dauerhaft schmutzige Flure und erste Verunsicherungen bezüglich der neuen Vermietung mit ins Haus. Zu unserem Alltag gehörten plötzlich herabstürzende Trümmerteile von der Fassade, abgeklebte und durch Werbebanner verdeckte Fenster, gekappte Antennen für unseren Internetanschluss, Regenwassereinbrüche in der Decke durch fehlende Abdichtung beim Dachumbau, gekappte Stromkabel, angezündete Kneipenfreisitze vor unserer Haustür, unangekündigtes Abstellen und Demolieren der Wasserversorgung für mehrere Tage, unangekündigte Räumung der Kellerabteile, plötzliche Videoüberwachung im Treppenhaus und ausgetauschte Schlösser in den Türen. Die Liste geht weiter und verlängert sich fast wöchentlich. Mängelanzeigen, Bitte um Rücksichtnahme und der
Aufforderung zur Kommunikation mit uns Mieter:innen ignoriert der Vermieter.

Besonders einschneidend waren für uns die 5 Monate, in denen wir ohne Gasversorgung in unseren Räumen leben mussten. Das hieß zunächst einmal frieren und bei befreundeten Leuten duschen zu müssen, jedes Mal ins Schwimmbad zu radeln oder Wasser aufzukochen für eine warme “Dusche”. Das bedeutete auch die Gründung einer Winterfest-Arbeitsgemeinschaft mit dem Ziel, die Wohnungen im Haus zumindest einigermaßen beheizbar einzurichten. Wir planten, mit kleinen Radiatoren und Infrarotheizungen den Winter zu überstehen. Zu dem Zeitpunkt hatten wir die Hoffnung aufgegeben, dass die häusliche Gasversorgung vor dem Wintereinbruch wieder in Betrieb gehen könnte. Spontanes Ausziehen war für fast alle Bewohnenden illusorisch. In welche Wohnung des seit Langem schon sehr umkämpften Leipziger Wohnungsmarktes sollten wir so schnell ziehen? Und wie konnte es eigentlich sein, dass der Vermieter eine Reparatur der Grundversorgung solange verschleppt, dass wir uns die Frage stellen müssen, ob wir ausziehen? Wir haben also um unser Recht auf Heizung und warmes Wasser vor Gericht gekämpft. Und auch, wenn es ein Armutszeugnis ist, dass es 5 Monate gedauert hat, hat das Gericht uns das Recht auf diese Grundversorgung zugesprochen und uns die Beauftragung der Reparatur ermöglicht. Denn natürlich ist Heizen und warmes Wasser ein zentrales Recht von Mieter:innen! Und natürlich hat ein Vermieter sich darum zu kümmern, dass diese Grundversorgung zur Verfügung steht! Die Reparatur selbst hat dann nur zwei Tage gedauert. Zwei Tage, in denen wir im Haus Wache gehalten haben, damit der Installateur seine Arbeit machen kann. Zwei Tage, in denen wir uns gegen einen Hausverwalter wehren mussten, der die Wiederherstellung der Gasversorgung verhindern wollte, obwohl wir den Gerichtsbeschluss buchstäblich in der Hand hatten!

Uns ist klar geworden, dass ein normales Wohnen in diesem Haus – ein Wohnen ohne Schikane – zur Zeit nicht möglich ist. Uns ist klar, dass Entmietung das Ziel dieser Schikanen sind. Dass der Vermieter mittlerweile Kündigungen ausgesprochen hat, ist das aktuellste Glied in dieser mittlerweile langen Kette. Bisher haben wir jedoch jede Herausforderung überstanden! Wir sind als Gruppe zusammengewachsen. Wir haben uns organisiert und so eine Situation gemeistert, bei der viele Mieter:innen sonst bereits ihre Wohnungen aufgegeben hätten. Wir haben Zuspruch und Unterstützung von unserem Umfeld erhalten, unseren Fall öffentlich gemacht und skandalisiert. Wir haben viel gelernt wie man Pressemitteilungen schreibt, wie man Einstweilige Verfügungen vor Gericht beantragt, wie Arbeitsteilung funktionieren kann. Wir haben andere Mieter:innen kennengelernt, die auch den kalkulierten Entmietungsversuchen und der Willkür ihrer Vermieter:innen ausgesetzt sind. Wir sind Teil eines Netzwerkes, das dagegen kämpft, dass Wohnen an sich den Charakter eines Teilzeitjobs annimmt. Die Zustände, in denen wir leben und arbeiten, sind eigentlich unzumutbar. Und trotzdem setzen wir uns zur Wehr. Wir sind nicht allein und wir wissen darum, welchen symbolischen Konflikt wir ausfechten. Ohne Frage ist unser Kampf einer von vielen, in denen es immer wieder um sozialverträgliche Wohnverhältnisse und gegen das Primat von privaten Profitinteressen geht!

Und wir erinnern den Eigentümer der E97 daran, dass das alles so nicht sein müsste. Wir hatten damals und wir haben heute die Bereitschaft, das Haus zu kaufen, zu sanieren und selbst zu verwalten. Aber solange es nicht unser Haus ist, erinnern wir auch daran, dass er als Eigentümer Pflichten hat und dass er sich mit dem Haus nicht das Recht gekauft hat, sich aufzuführen wie die Axt im Walde! Unseren langen Kampf um faire und angemessene Wohnverhältnisse führen wir mit großem Zusammenhalt und den geteilten Erfahrungen der Mietenden. Unsere Motivation baut auf einem breiten Verständnis davon, wie wir weiterhin solidarisch auf unser Viertel einwirken möchten. Diesen Kampf führen wir, damit Wohnraum in vernünftigen Zuständen erhalten wird, damit Mieten für alle bezahlbar bleiben und die kulturellen und solidarischen Treffpunkte, die zunehmend aus Leipzig verschwinden, uns allen nicht verloren gehen! Das letzte Jahr hat uns gezeigt, dass diese Kämpfe für faires Wohnen und ein selbstbestimmtes Stadtviertel möglich sind.